Rauch, Trümmer, Elend und Verzweiflung prägten das Antlitz unseres Landes, die ersten Männer waren aus Krieg und Gefangenschaft zurückgekehrt und stockend kam das Leben wieder in Fluss. Leben 1945, das bedeutete Entbehrung, Hunger, Not, Angst und Sorge um die Zukunft. Freuden standen nicht auf dem Programm, Fernsehen gab es noch nicht und im Radio standen die Berichte über die endlosen Kriegsverbrecherprozesse im Vordergrund. Es muss aber doch noch etwas anderes geben, sagte sich da eine Handvoll Männer und traf sich in der nur teilzerstörten Gaststätte Lewe an der Töddinghauser Straße. Ihre Gedanken kreisten um das runde Leder, um Fußball und Handball, außerdem wollten sie das Turnen wieder aufleben lassen. Sie vertraten das Erbe von drei traditionsreichen Vereinen, nämlich den Turn- und Sportverein 09, den Turnverein Friesen und den von den Nazis 1933 verbotenen Arbeiterturnverein. Alle drei Vereine hatten in Bergkamen eine bedeutende Rolle gespielt. So kam es im Juli 1945 in der Gasstätte Lindemann an der Werner Straße zur Gründung des Turn- und Rasensportverein Bergkamen (TuRa). Zum ersten Vorsitzenden wurde der Bergmann und spätere Bürgermeister der Altgemeinde Bergkamen Reinhold Böhm gewählt. Zum zweiten Vorsitzenden wurde Josef Tillmann gewählt. Als Spartenleiter zeichneten sich Willi Henatsch (Fußball), Willi Weirich (Handball) und Willi Luther (Turnen) verantwortlich. Die Einigkeit im Bergkamener Sport zu wahren, das war die Verpflichtung der Gründer. Dieses Versprechen wurde gehalten, viele Sparten traten nach der Gründung dem Turn- und Rasensportverein bei und bis heute ist der Verein der Mitgliedstärkste im Stadtgebiet Bergkamen.
Die Fußballer entwickelten sich schnell zu einer festen Größe auch über den Kreis hinaus. Die ersten Fußballspiele wurden auf dem Platz neben den Steinbaracken in Weddinghofen ausgetragen, dass Nordberstadion war durch Bombenangriffe zerstört. Bald darauf begannen die Mitglieder mit dem Einebnen des Nordbergstadions, Bombentrichter um Bombentrichter wurde verfüllt. Jede Ecke der späteren Anlage wurde im wahrsten Sinne des Wortes mit Schweiß gedüngt. Bereits 1948 gelang der Nordberelf der Aufstieg in die zweithöchste westfälische Spielklasse. In den Aufstiegspielen wurde unter anderem auch der VfL Geseke deklassiert, dar damals vom späteren „Fußball-Professor" Dettmar Cramer trainiert wurde. Dieser bezeichnete noch sehr viel später (u. a. war er Trainer von Bayern München) das Spiel am Nordberg mit der 7:3 Niederlage als das schwärzeste Kapitel seiner Trainerlaufbahn. Die Namen der damaligen Fußballer - A. Schankin, Jansen, Henatsch, Guttmann, Dinter, Krause, Kowalkowski, Rother, H. Schankin, Gorzalski, Schöning, Hüchtmann, Kröner, Zielinski und Mooren - gehören heute zu den TuRa-Legenden und sollen auch durch diesen Bericht nicht in Vergessenheit geraten. Sie sorgten regelmäßig für ein volles Haus am Nordberg. Tausende von Zuschauern waren keine Seltenheit, bei Auswärtsspielen war an die heutige Mobilität nicht zu denken. Zu Fuß in Scharen über die Lüner Höhe nach Kamen, auf dem Anhänger eines Fuhrunternehmers oder wie Trauben hängend an den Zechenbahnwaggons, damals gängige Gelegenheiten für die TuRa-Fans mit der Mannschaft zu „reisen". Auch in Zeiten wo die Männer in dieser Region fast auschließlich einen knochenharten Beruf im Bergbau ausübten, blieb immer noch die Energie auf dem Sportplatz großartiges zu leisten. Den Bauch voll schlagen war nicht drin, in Zeiten von Lebensmittelkarten gab es wenn nur das Nötigste. Doch so mancher Fan versorgte seine Spieler oft mit Zusatzratzionen. Vielelicht kommt daher die heutige eher abfällige Aussage „Der spielt doch für ein Butterbrot"! Vielleicht sollte sich die heutige Fußballgeneration dies mal zu Herzen nehmen und wieder mit mehr Leidenschaft und Herzblut für seinen Verein eintreten. Mann, wie lecker so ein Butterbrot sein kann! Übrigens hat man es viele Jahrzehnte verstanden Bergkamener Fußballer großzuziehen und erfolgreich in den Senioren einzusetzen. Auch heute kann das Motto nur heißen „Eigene Jugend fördern"!
13 Jahre lang konnten sich die Fußballer in der Verbandsliga behaupten. Zum damaligen Zeitpunkt (1945 - 1963) war die Oberliga die höchste Spielklasse in Deutschland. Die fünf regionalen Oberligameister spielten den „Deutschen Meister" aus. Kaum zu glauben, aber die Jungs spielten damals nach heutigen Maßstäben in der zweiten Liga! Überall in Westfalen jubelten damals die Fußballfreunde den Bergkamenern zu. Bald stand der Verein sogar vor der Frage, ob er seine 1. Mannschaft in das Lager der Lizenzspieler aufrücken lassen sollte. In kluger Erkenntnis der geringen finanziellen Möglichkeiten nahm man jedoch von solchem Schritt Abstand! International bekannte Trainer wie Kronsbein und Eppenhoff - beide später Bundesligatrainer -, sowie der spätere Verbandstrainer Widmayer zeichneten sich in jenen Jahren für Geist und Kondition der „Techniker" vom Nordberg verantwortlich. 1961 kam es zum Abstieg in die Landesliga, 1965 konnte der FC TuRa unter Trainer Rudi Daniel wieder in die Verbandsliga aufsteigen. Die damaligen Spieler hießen John, Maas, Neugebauer, Renner, Rösener, Knoff, Beer, Gretza, Treger, Angelkort, Knaak, Gornik, Müsing und Reikowski. Highlight zum damaligen Zeitpunkt war 1966 im Lünener Stadion „Am Schwansbell" ein sportlicher Vergleich mit der Deutschen Nationalmannschaft unter Trainer Helmut Schön. Dieser suchte in der Vorbereitung, gastierend in der Sportschule Kaiserau, zur WM in England einen starken Gegner aus dem Umkreis und die Wahl fiel auf den FC TuRa. Das ehrvolle Ergebnis mit nur einer 1:5 Niederlage bestätigte die damalige Vermutung des Mannes mit dem Koffer. Schiedsrichter dieser Partie war der damalige Co-Trainer und spätere Bundestrainer Jupp Derwall. In der ersten Halbzeit spielte der Braunschweider Nationaltorhüter Horst Wolter im TuRa Tor und ließ nur einen Gegentreffer zu. Im Übrigen fühlte er sich Pudelwohl im Kasten der TuRaner, die sogar durch ein Tor von Egon Treger mit 1:0 in Führung gingen. Da staunten die damaligen Statregen Beckenbauer, Netzer und Overath nicht schlecht!
1968 kam es dann wieder zum Abstieg in die Landesliga, die den Verein durch die 70er Jahre begleitete. Namen wie Schwab, Stefank, Runge, Löffler, Koch, Tschersich, Klapper, Arnold, Löbel, Renner, Hölmer, Rösener, Knaak, Neugebauer und Grothaus bestimmten das sportliche Geschehen am Nordberg. Leider begann ab diesem Zeitpunkt eine sportliche Berg und Talfahrt. Anfang der 80er Jahre in die Kreisliga A abgeglitten, schaffte man 1984 unter Trainer Horst Knaak den Sprung zurück in die Bezirksliga. Damalige Spieler waren Buchwald, Pflug, Sudhaus, Runge, Löbel, Probyn, Jezek, Reichel, Braun, Witke, Werder, Marquardt, Hengelbrock, Achsnich, Behrens, Jonscher, Kutzka und Gondolf. Danach gelang es sogar wieder ein paar Jahre in der Landesliga zu spielen, doch der sportliche Glanz einstiger Tage konnte leider nicht gehalten werden. Bis heute folgte ein Wechselspiel zwischen Bezirks- und Kreisliga und ein ständiges Bemühen die guten sportlichen Möglichkeiten am Nordberg zu Erfolgen umzumünzen. Gerade im neuen Jahrhundert sind die Anforderungen an die Verantworlichen des Vereins enorm gewachsen. Gesellschaftlicher Wandel, Migration, Integration und das Vermitteln des Fußballs als Verständnisträger und Ausgleich in einer schnelllebigen Welt beschäftigt den „Funktionär"! Heute wechselt man den Fußballverein wie seine Unterwäsche, oft wegen Kleinigkeiten oder nicht zu vertretenden Ansprüchen. Ich hoffe, dass die Welt des Amateurfußballs wieder zur Besinnung kommt und amateursportliche Werte wieder in den Vordergrund gerückt werden. Vielleicht hilft dieser Bericht manch ahnungslosem Fußballer - ob zur Zeit bei TuRa, oder auch zu einem „besseren" Verein gewechselt - mal darüber nachzudenken.
Viele große Menschen haben diesen Verein geprägt und ihre Spuren hinterlassen. Viele Namen tauchen in diesem Bericht auf, viele sind jedoch nicht genannt. Dies liegt darin begründet, dass in 65 Jahren einige Generationen durch das Nordbergstadion „gegrätscht" sind und zum Anderen die Aufzeichnungen vergangener Jahre sehr rar sind. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei Lothar Knoff (Spieler aus der legenderen Zeit) für seine Unterstützung. Dank seines privaten Archives ist noch einiges an Festzeitschriften und Zeitungsberichten erhalten geblieben. Dieses konnte ich mir an dieser Stelle zu Gute machen. Außerdem habe ich vieles durch Gespräche mit „alten Bergkamenern" erfahren. An erster Stelle ist da unser jetziger 1. Vorsitzender der Fußballabteilung Ewald Schürmann zu nennen.
Zu guter Letzt bleiben noch meine eigene Erinnerungen als Spieler und auch als späterer Trainer der 1. Mannschaft. Ich fühlte mich in den 80er Jahren als junger Spieler immer gut aufgehoben beim FC TuRa. Namen wie Josef Siepmann und die bereits vertorbenen Wolfgang Kühn, Hans Heuser, Fredi Länger und Wolfgang Bergmann haben sich fest in meinem Gedächnis etabliert. Sie haben alles gegeben für ihren FC TuRa und uns eine tolle Zeit beschert. Auch als Trainer der 1. Mannschaft habe ich volle Unterstützung der jetzigen Vorstandsriege rund um Ewald Schürmann und Horst Günther Siegmund erhalten. Ich wünsche dem Verein für die Zukunft, dass die sportlichen Ziele erreicht werden können!
Wer Interesse hat und Geschichten, Anekdoten etc. zur Geschichte des FC TuRa Bergkamen beitragen kann, wende sich bitte an folgende E-Mail-Adresse!
dietmarjezek@helimail.de!
Schön wäre es, wenn dadurch dieser Bericht über unseren FC TuRa Bergkamen wachsen und noch mehr Namen und Geschehnisse nicht in Vergessenheit geraten würden!
Dietmar Jezek